„Wer will mich?“, stellt die Künstlerin Deborah Sengl in ihrer Serie zum Flüchtlingsthema eine Frage, die betroffen macht, da sie den augenscheinlichen Verlust von Empathie mit dem Leid der Opfer beklagt. “Wir schaffen das!” lautete vor Jahren die berühmte, aber auch kontroverse Formulierung zur Flüchtlingskrise. War dieser Optimismus naiv oder verfrüht? – Fünf Künstlerinnen setzen sich in der Ausstellung „Lost in Transition“ mit unterschiedlichen Aspekten der komplexen Realität und der menschlichen Dimension des Leidens und der Hoffnung von Heimatverlust und Immigration, Entwurzelung, Flucht und Vertreibung auseinander.
Seit der Flüchtlingskrise reißen die Bilder von überfüllten und gekenterten Booten im Mittelmeer und verzweifelten Menschen an den Grenzen Europas nicht ab. Hunderttausende Menschen, die vor kriegerischen Konflikten, Verfolgung und wirtschaftlicher Not fliehen, sehen in Europa einen Ort der Zuflucht. Erstes Opfer sind wie immer die Unschuldigen und Schwächsten, die Kinder. Die individuellen Schicksale und das Leid von Flüchtlingen führen immer wieder zu Wellen der Solidarität, der Empathie und des Mitgefühls, die Ankunft einer großen Anzahl von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen aber auch zu sozialen, politischen und kulturellen Verwerfungen. Statt die Ursachen der Krise anzugehen, beschränkt sich die Antwort der Politik oft auf die Behandlung von Symptomen, kurzsichtigen Lösungen und unbefriedigenden Kompromissen. Doch die inzwischen deutlich spürbaren Effekte des Klimawandels lassen befürchten, dass wir erst am Anfang einer neuen Völkerwanderung mit all ihren Konflikten und Transformationen stehen, welche die Welt langfristig umfassendend verändern wird. Schaffen wir das wirklich? Oder sitzen wir alle in einem sinkenden Boot? Und sollten wir da nicht mehr Empathie aufbringen statt weniger?
Die österreichische Künstlerin Deborah Sengl, ausgebildete Künstlerin und Biologin, verwendet in ihren provokanten Arbeiten gerne Tiere in menschlichen Situationen und zeigt mit der für ihre Arbeiten typischen beißenden Ironie die Absurditäten unseres ganz normalen alltäglichen Wahnsinns auf. In ihrer Serie „Wer will mich“ beklagt sie den erstaunlichen Verlust an Empathiefähigkeit in unserer Gesellschaft, in welcher der fremde „Einwanderer“ als Bedrohung wahrgenommen wird.
Patricia Waller arbeitet seit Jahren konsequent an ihren subversiven Häkelobjekten, in denen sie hochbrisante Sachverhalte in heimelige Harmlosigkeit kleidet und damit tradierte Sehgewohnheiten durch die schiere Unverhältnismäßigkeit von Material und Objekt überlistet. In verschiedenen Serien wie „Victims“ und Innocent“ hat sie in den letzten Jahren das Leid der Kinder thematisiert, den unschuldigsten, aber leider oft ersten Opfern von Krieg, Vertreibung, Missbrauch und dem Auflösen fester gesellschaftlicher Strukturen.
Die österreichische Künstlerin Lies Maculan schafft lebensgroße Fotoskulpturen, die auf verblüffende Art mit der Illusion von Dreidimensionalität spielen. In ihrer Arbeit The Great Wall Mexico II (2016) thematisiert sie die buchstäbliche Ausgrenzung, welche die Länder der ersten Welt gegenüber Einwanderern praktizieren, indem sie diese an oder noch vor ihren Grenzen gewaltsam aufhalten oder in Auffanglagern zwangsinternieren, gleich ob es sich um die USA, Australien oder die „Festung Europa“ handelt.
Die japanische, in Berlin ansässige Künstlerin Yukiko Terada erforscht in ihren subtilen Arbeiten, in denen aus Ausschnitten einer Form neue Formen und Gegenstände entstehen, die Themen Metamorphose, Transformation und den Zyklus zwischen Wachstum und Zerstörung. In ihren Serien „Darning memories“ und „Dialogue“ thematisiert sie abrupte Brüche in der individuellen Erinnerungskultur und zwischenmenschlichen Beziehungen, die durch Entwurzelung und Heimatverlust entstehen.
Die Gastkünstlerin Sarah Nabil, 1994 in Kabul geboren und 2015 gezwungen Afganistan zu verlassen, verarbeitet in ihren Arbeiten die eigenen Erfahrungen von Flucht und der Notwendigkeit neuer Identitätsfindung vor dem Hintergrund der radikal frauenfeindlichen Politik ihres Heimatlandes und ihres entwurzelten Status in einer fremden kulturellen Umgebung. Ihre dreiteilige Arbeit Die verlorenen Identitäten des Jahrhunderts thematisiert menschliche Schicksale und Identitäten vor dem Hintergrund von Flucht und Immigration. Die Arbeit beschäftigt sich mit den blinden Flecken, dem Nicht-Sichtbaren, dem unbemerkten Verschwinden von menschlichem Leben und namenlosen Identitäten irgendwo zwischen Kriegsgebiet und dem tiefblauen Meer.
„Who wants me?“ is the question posed by Deborah Sengl in her series on the refugee issue, lamenting a disturbing loss of empathy with the suffering of refugees. „We can do it!“ (“Wir schaffen das!”) was the famous if controversial slogan in the face of the refugee crisis years ago. Was this optimism naïve or premature? – In the exhibition „Lost in Transition“, five female artists address different aspects of the complex reality and the human dimension of both the suffering and hope caused by the loss of homeland and familiar culture, by being uprooted, expelled and forced to flee.
For years, we have been confronted with images of overcrowded and capsized boats in the Mediterranean and desperate people at Europe’s borders. Hundreds of thousands of people fleeing armed conflicts, persecution and economic hardship regard Europe as a place of refuge. As always, the first victims are those most innocent and weak, the children. The individual fates and the suffering of refugees again and again unleashed waves of solidarity, empathy and compassion. But the arrival of a large number of people from different cultural and religious backgrounds also caused social, political and cultural tensions in the receiving countries. Instead of addressing the root causes of the crisis, policymakers‘ responses are often limited to treating symptoms, proposing short-sighted solutions and unsatisfactory compromises. The increasingly noticeable effects of climate change, however, give rise to the fear that we are only seeing the beginning of a new global mass migration with all the conflicts and transformations it will bring, and which will in the long run fundamentally change world demographics. So can we really do it? Or are we all sitting in the same sinking boat? And should this not make us more empathetic rather than less?
Austrian artist Deborah Sengl, a trained artist and biologist, likes to use animals in human situations in her provocative works, using biting irony to throw a spotlight on the absurdities of our normal everyday madness. In the series “ Who wants me “ she laments the astonishing loss of empathy in our society, in which the foreign „immigrant“ is perceived as a threat.
Patricia Waller has for years been consistently working on her subversive and bitingly ironic crochet-work sculptures, in which she dresses highly explosive issues in homely harmlessness, thus outwitting traditional visual habits by the sheer disproportionality of material and object. In various series in recent years, such as “Victims” and “Innocent,” she has addressed the suffering of children, the most innocent but unfortunately often the first victims of war, displacement, abuse, and the dissolution of fixed social structures.
Austrian artist Lies Maculan creates life-size photo sculptures that in a startling way play with the illusion of three-dimensionality. In her work The Great Wall Mexico II (2016), she addresses the violent exclusion that first-world countries practice towards immigrants by using force or barriers to stop them at or even before their borders or interning them in camps, whether it is in the case of the USA, Australia, or „Fortress Europe.“
In her subtle works, the Japanese, Berlin-based artist Yukiko Terada explores themes of metamorphosis, transformation, and the cycle of growth and destruction, in which new forms and objects emerge from cutouts. In her series „Darning memories“ and „Dialogue“ she addresses abrupt ruptures in the individual culture of remembrance and interpersonal relationships that arise from loss of homeland and cultural context.
Guest artist Sarah Nabil, born in Kabul in 1994 and forced to leave Afghanistan in 2015, processes her own experiences of being a refugee and the need to find a new identity against the backdrop of the radical misogynistic policies of her home country and her uprooted status in a foreign cultural environment. Her three-part work „The Lost Identities of the Century“ addresses human fates and identities in the context of displacement and immigration. The work deals with the blind spots, the invisible, the unnoticed disappearance of human life and nameless identities somewhere between war zones and the deep blue sea.
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