Vor der ikonischen Kulisse der Berliner Siegessäule steht Noah Becker nackt, mit ausgebreiteten Armen in die nächtliche Leere – ein Bild, das in seiner Direktheit wie in seiner Ambivalenz fesselt. Die Fotografie, aufgenommen am 2 April von Sven Bänziger, ist weit mehr als eine Szene der Befreiung oder des klassischen Ausbruchs aus gesellschaftlichen Konventionen. Sie ist ein Spiegelbild innerer Widersprüche und externer Zuschreibungen – und in dieser Vielschichtigkeit tief persönlich.
„Bleib, wie du bist“ – die Worte, die diesem Werk ihren Titel geben, tragen eine doppelte Last: einerseits als vermeintliche Ermutigung, andererseits als subtile Einforderung von Stillstand. Becker selbst wurde diese Worte häufig gesagt – oft von Menschen, die meinten, ihn zu kennen, weil sie ihn aus den Medien kannten oder sich durch seinen Status ein Bild gemacht hatten. Diese Zuschreibungen entkleideten ihn im übertragenen Sinn lange vor diesem Bild. Die Nacktheit in der Fotografie ist also nicht nur physisch, sondern existenziell: Sie zeigt einen Menschen, der sich entschieden hat, der Projektion die Realität entgegenzustellen.
In dieser Inszenierung steckt Ironie. Die Aufforderung „Bleib, wie du bist“ erscheint hier nicht als authentischer Wunsch nach Wahrhaftigkeit, sondern als Abbild einer Gesellschaft, die sich an festen Bildern und fixen Identitäten klammert – besonders dann, wenn Status ins Spiel kommt. Becker aber entzieht sich dieser Erwartung. Seine Haltung – nackt, aufrecht, frontal – ist eine stille, doch eindrucksvolle Antwort: Nicht die äußeren Zuschreibungen definieren ihn, sondern seine eigene Haltung zur Zeit, zum Wandel, zum Selbst. Die „Schnabelmännchen“, die ihn auf dem Bild umgeben, wirken wie Sinnbilder für die ständigen Stimmen, Meinungen und Zuschreibungen, die um ihn kreisen. Becker steht inmitten dieses Lärms – und über ihm. Was bleibt, ist nicht ein Ruf nach Stillstand, sondern die visuelle Manifestation eines Selbst, das sich den Blicken stellt, aber ihnen nicht unterwirft.
Dieses Werk spricht von Sichtbarkeit, Identität und der Sehnsucht einer Zeit jenseits der Manipulation. Es ist radikal ehrlich und voller Zwischentöne: ein Porträt des Menschseins.
In front of the iconic backdrop of Berlin’s Victory Column, Noah Becker stands naked, arms outstretched into the night – an image that captivates through both its starkness and its ambiguity. The photograph, taken by Sven Bänziger, is far more than a moment of liberation or a conventional act of defiance against social norms. It is a reflection of internal contradictions and external projections – and in its complexity, deeply personal.
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“Bleib, wie du bist” – “Stay as you are” – the phrase giving the work its title, carries a double burden: on the one hand, it poses as encouragement; on the other, it subtly demands stasis. Becker has heard these words often – usually from people who believed they knew him, shaped by media images or assumptions tied to his status. These projections stripped him metaphorically long before this image was made. The nudity in the photograph is therefore not just physical, but existential: it reveals a person who has chosen to confront projection with reality.
There is irony in this staging. “Stay as you are” appears here not as a genuine wish for authenticity, but as a symptom of a society clinging to fixed images and identities – especially when status is involved. Becker resists this expectation. His stance – naked, upright, direct – becomes a quiet yet powerful answer: He is not defined by external perception, but by his own relationship to time, change, and the self. The “Schnabelmännchen” (beaked little figures) surrounding him in the image act as symbols for the constant chatter, opinions, and labels projected onto him. Becker stands amid this noise – and above it.
What remains is not a call for stagnation, but a visual manifestation of a self that meets the gaze without submitting to it.
This work speaks of visibility, identity, and the longing for a time beyond manipulation. It is radically honest and rich in nuance: a portrait of the human condition.
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