Berlin Talents

Verlängerung bis zum 7. September 2024

In der neuen Gruppenausstellung zeigt die Galerie Deschler Werke fünf vielverspre­chender junger Künstler:innen, die in Berlin leben und tätig sind: Anna Nezhnaya, Noah Becker, Fedor Deichmann, Roman Frechen und Lennart Grau. Trotz der offen­sichtlichen Unterschiede in ihren jeweils sehr individuellen Ansätzen kristalli­sieren sich bei näherer Betrachtung schnell auch Gemeinsamkeiten heraus. Mit vielfälti­gen und kreativen Herangehensweisen treten sie in einen Dialog sowohl mit der Ver­gan­gen­heit, die ihre Gegenwart prägt, als auch mit der reichen und bunten Bil­der­flut, die un­sere zeitgenössischen Kultur produziert, recyclt, transformiert und in der weiten Welt der (sozialen) Medien und den Tiefen des Internet ablagert. Im Kon­text eines Zeitalters globalen multikulturellen Eklektizismuses ist es natürlich absolut folge­richtig, diese Schatz­kammer visuellen Materials verschiedenster Quellen, Tra­ditionen und Kultur­krei­se in Reinterpretationen und Verformungen für sich zu nutzen. Mit Ab­stechern und Referenzen quer durch die Kunstgeschichte und Popkultur, von Roko­ko­gemälden über Expressionismus bis hin zu zeitgenössischer Mangaästhetik, inte­grieren sie diese Fundstücke in ihre jeweils ganz persönliche Vision. Die Anleihen aus einer Vielzahl bildlicher Traditionen und Kontexte lassen sich dabei paradoxer­weise gleichzeitig ganz unterschiedlich oder sogar gegensätzlich lesen: als nostalgi­sche Beschwörung räumlich oder zeitlich entfernter Lebenswelten, die im Vergleich zur Gegenwart als homogener wahrgenommen werden; als ironische Reflektion einer Art Babylonischen Sprachverwirrung im Visuellen, die seit der Postmoderne immer weiter um sich greift; aber auch als gelassener Umgang mit dieser inzwi­schen schon als selbstverständlich empfundenen und akzeptierten Realität.

Anna Nezhnaya erforscht verbliebene sakrale Räume im zeitgenössischen Leben, verschiedene spirituelle Traditionen im Westen und deren Veränderungen in den letzten Jahrzehnten. Ihr Hauptinteresse gilt dem Raum in einem nicht-didaktischen Sinne. Ihre Arbeit oszilliert zwischen Objektivität und Abstraktion (manuell wie digital) und erforscht in Gemälden, Lichtobjekten und Zeichnungen die Identität im Post-Internet-Zeitalter und die gleitende Kluft zwischen Realität und virtueller Realität. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Für Noah Becker geht es in seinen großformatigen Gemälden auf Leinwand vor allem darum, geerdet zu sein und eine urteilsfreie Zone zu haben. Frei zu erforschen und zu erschaffen. Noah sagt, er habe mit dem Malen begonnen, um seine Gedan­ken zu beruhigen, die in einem Misch­masch von Themen und Texturen zu kollidieren schie­nen. Auf die Leinwand malt er die Landkarten dieser wachsenden Prozesse. Land­kar­ten von Umgebungen, in de­nen er sich aufhält, von Menschen, denen er begegnet, und von Ideen, die er ent­wickelt – Gefühle und Erfahrungen von Erinne­run­gen, Ge­rüchen und vor allem Musik.

Fedor Deichmann beschreibt seine Kunst als ein persönliches Kaleidoskop, in dem er traumartige Zustände erforscht, in denen er Dinge, die er malt, entweder findet oder die an Land gespült werden. „Obwohl meine Bilder oft an andere Gemälde erinnern, handelt es sich nicht um eine einfache Nachahmung, sondern vielmehr um einen Dialog mit der Vergangenheit, welcher der Gegenwart eine Stimme ver­leiht. Ich erforsche zwei künstlerische Techniken – den abstrakten Expressionismus und den figurativen Impressionismus. Mein Repertoire besteht aus einer Vielzahl von Ansätzen, die sowohl die Kunstgeschichte zitieren und in einen Dialog mit ihr treten – ich bearbeite Werke von Pablo Picasso und Diego Velázquez – als auch Farbe, Form und Textur in ihrer reinsten Form ausdrücken und festhalten, als eine Art improvisier­ter Tanz auf der Leinwand, inspiriert durch die Methoden von Jackson Pollock und Willem de Kooning. Die Details in meinen Werken sind zwar sorgfältig ausgewählt, aber sie bieten selten ein klares und leicht verständliches Narrativ.“

Mit Bezug auf japanische Kunst holt Roman Frechen japanische Schönheits­ideale, Phantasiegegenstände, sowie Schreinmädchen, Vampirinnen, Magierinnen und an­de­re mythologische Figuren in die Gegenwart. „Es sind Werke, deren hypnotische Suggestivität aus der Begegnung popkultureller Bild­welten mit altmeisterlichen Maltechniken entsteht. Traumwandlerisch sicher ent­wirft Roman Frechen einen Figurenkosmos, in dem Einflüsse der Mangaästhetik eben­so aufscheinen wie die Portraitkunst eines Velázquez oder da Vinci. Das er­zeugt nicht nur einen persuasiven Reiz der Gemälde, darüber hinaus ermöglicht die Hyperästhetisierung des vermeintlich Trivialen ein Vexierspiel, in dem die Oberflä­chen durchlässig für die Reflexion unserer medialen Wirklichkeit werden.“ (Dr. Christine Eichel, Schriftstellerin und Publizistin)

Der geradezu brutale Umgang mit Farbe bei Lennart Grau findet einen faszinieren­den Gegenpol durch künstlerische Anleihen aus der Leichtigkeit und der Unbe­schwert­heit des Rokoko. Beeindruckt von der menschlichen Fähigkeit zur Dekadenz, wie sie besonders diese vergangene Gesellschaft verkörpert, fühlt sich der Künstler zu provokant kitschigen Zitaten inspiriert: Engel, klassische Stillleben und epische Inszenierungen sind für ihn perfekte Vorlagen, um malerisch den oberflächlichen Glanz dieser Epoche schmelzen zu lassen und dessen typische Ornamente zu hüb­schen Geschwüren zu formen. In reduzierten, abstrakten Studien, bei denen sich der Künstler mit der Wirkung von realem und gemaltem Licht und Schatten beschäf­tigt, ist er immer wieder auf der Suche nach innovativen Techniken des trompe l’oeil. „Ich lasse mich immer gerne verführen von wunderschönen Fassaden, die mich we­gen ihrer vordergründigen Ästhetik dann aber sofort auch zweifeln lassen.“

————————————————————————————————–

Extended through 7 September, 2024

In the new group exhibition, Galerie Deschler is presenting works by five promising young artists who live and work in Berlin: Anna Nezhnaya, Noah Becker, Fedor Deichmann, Roman Frechen and Lennart Grau. Despite the obvious differences in their very individual approaches, similarities quickly emerge on closer inspection. With diverse and creative approaches, they enter into a dialogue both with the past that shapes their present, and with the rich and colorful flood of images our contemporary culture keeps producing, recycling, transforming and depositing in the wide world of the (social) media and the depths of the Internet. In the context of an age of global multicultural eclecticism, it of course makes perfect sense to take advantage, for reinterpretations and transformations, of the treasure chest of visual material from the most diverse sources, traditions and cultural circles. With detours and references across art history and pop culture, from Rococo paintings to Expressionism and contemporary manga aesthetics, they integrate these found gems into their own personal vision. Paradoxically, the borrowings from a multitude of visual traditions and contexts can be read simultaneously in very different or even contradictory ways: as a nostalgic evocation of spatially or temporally distant living environments perceived as more homogeneous in comparison to the present; as an ironic reflection of a kind of Babylonian confusion of languages in the visual realm, which has become increasingly widespread since postmodernism; but also as a relaxed approach to this reality, which is now taken for granted and accepted as such.

Berlin based artist Anna Nezhnaya explores remaining sacral spaces in contempo­rary life, diverse spiritual traditions in the West, and their transformations during re­cent decades. Her main area of interest is space in a non-didactic sense. Her work, in paintings, light objects, and drawings, oscillates between objectivity and ab­straction (manual as well as digital), and explores identity in the post-Internet age and the slippery divide between reality and virtual reality.

For Noah Becker it is all about being grounded, having a judgement-free zone in his large format paintings on canvas. To be free to explore and create. Noah says that he began painting to calm his thoughts, which seemed to collide in a mishmash of themes and textures. On the canvas he paints the maps of these growing processes. Maps of environments he spends time in, people he meets, and ideas he develops—feelings and experiences of memories, smells, and especially music.

Fedor Deichmann describes his art as a personal kaleidoscope, in which he ex­plores dreamlike states where either he finds things to paint or they wash up on shore. “Although my paintings often echo other paintings, it is not simple imitation but rather a dialogue with the past in a way that gives a present voice. I am working with two artistic techniques—abstract expressionism and figurative impressionism. My repertoire consists of a diverse set of approaches, both quoting and engaging in a dialogue with art history—processing works by the likes of Pablo Picasso and Diego Velázquez—as well as merely expressing and capturing color, form and texture in its purest form as a kind of impromptu dance on canvas inspired by the methods of Jackson Pollock and Willem de Kooning. While the details in my works are carefully chosen, they rarely provide a clear and easily comprehensible narra­tive.”

With references to Japanese art, Roman Frechen transports Japanese ideals of beauty, imaginary objects, as well as shrine maidens, vampires, magicians and other mythological figures into the present. “These are works whose hypnotic sug­ges­tiveness arises from the encounter between pop-cultural imagery and old master painting techniques. With somnambulistic assured­ness, Roman Frechen creates a cosmos of figures in which influences of manga aesthetics appear next to the portrait art of Velázquez or da Vinci. Not only does this create a persuasive ap­peal in the paintings, but the hyper-aestheticization of the supposedly trivial also generates a game of deception in which the surfaces become permeable for the reflection of our media reality.” (Dr. Christine Eichel, writer and publicist)

The almost brutal use of color in the works of Lennart Grau finds a fascinating coun­ter­point in artistic borrowings from the Rococo period with its buoyancy and light-heartedness. Impressed by the human capacity for decadence, as embodied par excellence by this bygone society, the artist feels inspired to create provocative­ly kitschy quotations: in his paintings, angels, classical still lifes and epic stagings are perfect templates for him to melt down the superficial splendor of this era and trans­form its typical ornaments into pretty ulcers. In reduced, abstract studies in which the artist explores the effect of real and painted light and shadow, he is always on the lookout for innovative trompe l’oeil techniques. “I always like to be seduced by beautiful facades, but their superficial aesthetics then again immediately make me doubt them.”

Enquiry