Read a review of the exhibition by Vera WildeIn
der neuen Ausstellung FLEISCHESLUST zeigt die Galerie Deschler gut zwanzig
Arbeiten von George Grosz im Dialog mit Akten und Portraits von Rainer Fetting,
Sven Marquardt, Xenia Hausner und Jörn Grothkopp. Die Arbeiten von Grosz sind zwischen
1937 und 1940 in Amerika entstanden. Sie zeigen alle Frauenakte, wobei sich
Szenen des Malers mit seinem Model, Akte in verschiedenen Körperhaltungen, beim
An- oder Entkleiden sowie sexuelle Interaktionen abwechseln. Dem gegenüber
stehen zeitgenössische Arbeiten der anderen Künstler, wobei es sich überwiegend,
aber nicht ausschließlich, um Akte handelt.
Wie
der Titel „Fleischeslust“ bereits kundtut, liegt der Fokus der Akte
auf dem Element sinnlicher Lust, von der voyeuristischen Lust am Betrachten des
nackten Körpers bis hin zur Darstellung sexueller Lust. Dabei bleibt die Lust
ist nicht auf die des Betrachters begrenzt, sondern kann sich auch in der Freude
der Modelle am eigenen Körper zeigen. Während sich Grosz auf die Darstellung
des weiblichen Körpers beschränkt, finden sich bei Fetting und Marquardt auch männliche
Akte. Die Gegenüberstellung der Akte dieser Künstler zeigt eine Entwicklung – und
verschiedene Möglichkeiten –, wie der menschliche Akt gerade in dem Element
erotischer Lust eine starke politische und gesellschaftskritische Dimension
entfalten kann.
Die
Arbeiten dieser Akt-Serie von
George Grosz
stehen in Gegensatz zu dem stark sozialkritischen und satirischen Ansatz der
bekannteren Arbeiten aus seiner deutschen Schaffenszeit im Umfeld von Dada und
Neuer Sachlichkeit. Während der weibliche Akt dort in der Darstellung von
Prostituierten die moralische Zerrüttung der kapitalistischen Gesellschaft der
Weimarer Republik anprangerte und Erotik als subversive Kraft erschien, liegt
der Fokus dieser späteren Arbeiten mehr auf künstlerischem als auf politischem Ausdruck.
Dies war sicher auch durch seine veränderten Lebensumstände in Amerika bedingt.
Als Modell diente ihm seine Ehefrau Eva und ihre Schwester Lotte, die voyeuristische
Lust an ihrer Fleischlichkeit wird durch üppige, teilweise übertriebene Formen
betont. Ein in seiner Autobiografie ausführlich geschildertes Erlebnis, als er mit
14 Jahren eine 38-jährigen Frau dabei beobachtete, wie sie sich auszog, war
möglicherweise eine starke Inspiration für die vielen halbbekleideten Akte in
seinem Oeuvre. Damit wandelt sich die Darstellung des Körpers trotz
stilistischer Ähnlichkeiten von einem Mittel beißender Satire zu einer Quelle
wohltuend unverklemmter Lust, der Körper wird hier ohne falsche Scham in seiner
Sinnlichkeit gefeiert, statt angeprangert.
Im
Oeuvre von
Rainer Fetting wird diese
Zelebration des Körpers in seiner Sinnlichkeit fortgesetzt, bleibt aber nicht
auf den weiblichen Akt beschränkt. Außerdem bekommt die Darstellung des Körpers
wieder eine politische Dimension, diesmal aber gerade in seiner Lust. Statt
Lust als Chiffre für Zügellosigkeit oder Zerrüttung zu sehen wie in Grosz
frühen Werk, oder als erotisch-voyeuristischer, wenn auch künstlerisch
überhöhter Genuss, wie in Grosz späteren Arbeiten, wird die Freiheit zu
selbstbestimmter sexuelle Lust hier als politisches Recht eingefordert. Dies
ist natürlich am stärksten in Fettings frühen Männerakten der Fall, die auch in
Verbindung mit seiner eigenen Sexualität und seinem Engagement in der Berliner
Schwulenbewegung gesehen werden müssen.
In
den Fotografien von
Sven Marquardt
erscheint diese Lust, sowohl in den Männer- als auch in den Frauenbildern, in
noch etwas anderer Form, nämlich nun in der Selbstinszenierung des Modells.
Nicht mehr lediglich Lustobjekt im Auge des Künstlers oder Betrachters,
präsentieren sich seine Subjekte selbstbewusst in ihrer eigenen Sexualität. Auch
hier hat diese Lust an der eigenen Sexualität eine starke politische
Komponente: Marquardts Stil hat sich in seinen Aufnahmen ostberliner
Subkulturen der 1980er Jahre entwickelt, in denen Sexualität ganz bewusst in
ihrer subversiven, weil unangepassten und unkontrollierbaren, Kraft gelebt
wurde, und die von den Behörden der DDR nicht ohne Grund argwöhnisch beobachtet
wurden.
In den Arbeiten von
Jörn Grothkopp begegnen einer wiederum ganz anderen Art der
Auseinandersetzung mit dem Thema Lust. Die sexuell aufreizenden Positionen der
dargestellten jungen Frauen werden durch das starke Verblassen der Farben und
das Abschleifen der Konturen zu Chiffren der Lust, die sich dem Betrachter auf
mysteriöse Weise entzieht. Statt markanter Individuen in all ihrer Konkretheit,
Imperfektion und Materialität wie in den Fotografien Sven Marquardts, die
gerade daraus ihre greifbare Sinnlichkeit beziehen, erscheinen die Gestalten in
Grothkopps Bildern eher wie Phantome. Durch ihre generische Abstraktheit werden
sie zu Projektionsflächen für eine Lust des Betrachters, die zwangsläufig
unerfüllt, weil ideell oder virtuell, bleiben wird.
Diesen vier männlichen Perspektiven auf Körper, Akt und Fleischeslust setzt
Xenia Hausner eine weibliche entgegen. Anders als bei den vier männlichen Künstlern überwiegt bei ihr nicht die Inszenierung des Körpers als Lustobjekt, ob nun alleine für den Betrachter des Werkes, oder mit einem im Bild integrierten Betrachter. Vielmehr erscheint der Körper in einen narrativen Kontext eingebettet, wobei dieser gleichzeitig bildbestimmend ist und unbekannt bleibt. In einem Bild wie „Certain Women“ stehen die Figuren der vier Frauen, alle nur fragmentarisch sichtbar, in einem körperlichen Bezug zueinander, haben aber überraschenderweise keinerlei Blickkontakt. Die Umstände dieses Zusammentreffens wie auch ihre genauen Beziehungen zueinander bleiben rätselhaft, und es ist genau diese Offenheit des Erzählstrangs, welche die Bilder so faszinierend macht.
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In its new exhibition FLEISCHESLUST (Carnal Desire)
the Galerie Deschler is presenting about twenty works by George Grosz in
dialogue with nudes and portraits by Rainer Fetting, Sven Marquardt, Xenia
Hausner and Jörn Grothkopp. The works by Grosz were created in the United States
between 1937 and 1940 and are all nudes, including scenes of the painter with
his model, nudes in various poses, dressing and undressing, as well as in
sexual interactions. They are juxtaposed with contemporary works by the other
artists, mostly, but not exclusively, nudes.
As the title already indicates, the focus of the nudes
is on the element of sensual pleasure, be it the voyeuristic pleasure of
beholding a nude body or the representation of sexual lust. The pleasure,
however, is not restricted to that of the viewer but can also include the
pleasure the model derives from his or her own body. While Grosz‘ works depict
exclusively female nudes, Fetting and Marquardt also include male nudes. Juxtaposing
the nudes of these artists shows the development—as well as the range of
possibilities—in which the element of erotic lust can take on a decidedly
political and critical dimension.
The works of this series of nudes by
George Grosz are noticeably different
from the overtly critical and satirical approach of his better-known works from
his earlier German period in the context of Dada and New Objectivity. While in the earlier works Grosz instrumentalized the female nude,
notably in the depiction of prostitutes, as an indictment of the moral decay of
late capitalism in the Weimar Republic, and eroticism appeared in its fully
subversive power, the focus of these later works has shifted to artistic,
rather than political, expression. This was certainly to a good extent due to
his changed personal circumstances in the United States. Using his wife Eva as
well as her sister Lotte as models, the voyeuristic pleasure granted by the
sight of their bodies is emphasized by their luscious and oftentimes
exaggerated corpulence. In his autobiography Grosz describes in detail an
experience of viewing a 38-year old woman undressing when he was fourteen: this
was possibly a major inspiration for the numerous partly un-dressed nudes in
his oeuvre. Though similar in style, his depiction of the female nude had
shifted from a tool of biting satire to a source of refreshingly unabashed
sensual pleasure, the voluptuousness of the body no longer decried, but celebrated
without false embarrassment.
In the oeuvre of
Rainer
Fetting this celebration of the sensuality of the body is continued, but
does not remain restricted to the female nude. The depiction of the body
furthermore reacquires a political dimension, but this time precisely in its
erotic pleasure. Rather than serving as a cipher for licentiousness and decay
like in Grosz‘ early work, or as erotic-voyeuristic if artistically sublimated lust
in Grosz‘ later work, the freedom of self-determined sexual pleasure is claimed
as a political right. This is most apparent in Fetting’s early male nudes, which
have to be seen in context with his own sexuality and his involvement in the
Berlin gay rights movement.
In the photographs of
Sven Marquardt erotic pleasure takes on yet another form. In his
portraits of both men and women, the models enact and are in control of their
own staging. No longer mere objects of desire in the eye of the beholder or the
artist, his subjects confidently flaunt their own sexuality. But here, too, the
pleasure they derive from their overtly sexual bodies has blatant political implications.
Marquardt developed his distinct artistic style during the 1980s when he photographed
the sub-cultures of East Berlin, notably those where sexuality was very consciously
acted out in its subversive power, as a force beyond streamlining and control,
which was therefore not without reason regarded with deep suspicion by the East
German authorities.
In the paintings by
Jörn Grothkopp we encounter quite a
different take on the topic of erotic pleasure. In the extreme fading of colors
and the smoothing of shapes the luridly attractive poses of the young women
depicted are transformed into ciphers of desire that mysteriously evade the
grasp of the beholder. Instead of striking individuals who derive their provocative,
in-your-face sensuality from their imperfections and concrete materiality as in
Marquardt’s photographs, Grothkopp’s works presents us with figures that seem
more like apparitions. Their generically abstract quality transforms them into projection
screens for the desire of the beholder, a desire that by its very nature must
remain unfulfilled, for it lingers in the realm of the ideal or virtual.
These four male perspectives on the body, the nude and the pleasure it holds is countered by a female one in the works of
Xenia Hausner. Unlike in their works, the presentation of the body as object of desire, be it for the beholder of the work or a beholder included in the image, does not take center stage. The figure, rather, is embedded into a narrative context that is seems at the same time key for the meaning of the image and remains unknown. In a painting like „Certain Women“ the figures of the four women, all seen but in fragments, are set into a physical relationship to each other, but—and this is striking—have no eye contact whatsoever. The circumstances of their exact relationship remain mysterious, and it is just this openness of the narrative that make these images so compelling.