Anlässlich ihres 30-jährigen Bestehens präsentiert die Galerie Deschler Berlin die Ausstellung „NACKT“, mit Werken von Rainer Fetting, Elvira Bach, Luciano Castelli und Salomé. Die Schau versammelt Gemälde aus den späten 1970er- und 1980er-Jahren – die Zeit, in der sich die sogenannte Gruppe der „Jungen Wilden“ in Berlin formierte. Diese Künstlerinnen und Künstler stellten sich mit gestischer, expressiver Malerei gegen die intellektuelle Strenge des Minimalismus und der Konzeptkunst. Sie setzten auf Farbe, Emotion und das Unmittelbare, auf eine Kunst, die das Leben atmet und sich dem Körper verschreibt.
Im Zentrum der Ausstellung steht der Akt, nicht als klassisches Sujet, sondern als Ausdruck existenzieller Freiheit, als Sinnbild für Lust, Identität und Verletzlichkeit. Die ausgestellten Werke zeigen den menschlichen Körper als Schauplatz des Begehrens und der Selbsterkenntnis, oft erotisch oder explizit, immer direkt und ohne Verklärung. Besonders die männlichen Akte, die in den Gemälden von Fetting, Castelli und Salomé dominieren, sind dabei Ausdruck eines emanzipatorischen Selbstverständnisses. Sie stehen für eine künstlerische und zugleich gesellschaftliche Bewegung, die in den 1980er-Jahren für sexuelle Selbstbestimmung kämpfte und den Körper als Ort der Befreiung verstand. Vor allem Fetting und Salomé, beide eng mit der Schwulenbewegung jener Zeit verbunden, machten ihre Kunst zu einem Statement gegen Scham, Repression und Unsichtbarkeit. In „NACKT“ wird das Nacktsein so zum Symbol einer Haltung: der Unverstelltheit, des Stolzes, der Lebenslust.
Ein besonderes Highlight der Ausstellung bildet Fettings Skulptur „Die Drehung“von 1987 in Zusammenschau mit seinemausgestellten Gemälde „The Wall“ aus dem gleichen Jahr und einer Rötelzeichnung als Vorstudie sowohl zum Gemälde als auch zur Skulptur. Der expressionistisch übersteigerte, langgestreckte Torso in Körperspirale mit angewinkelten Armen und auf den Kopf gelegten Händen der überlebensgroßen Bronzeskulptur erscheint im Gemälde in Blautönen vor einer gelb gehaltenen Darstellung der Berliner Mauer.Die Zusammenstellung zeigt einerseits die enge Verbindung von Malerei, Zeichnung und Plastik in Fettings Schaffen. Die drei Arbeiten lassen den Körper in unterschiedlichen Dimensionen erfahrbar werden: als farbige Fläche, als Linie, als Bewegung im Raum. Sie verkörpern zugleich den Kern des künstlerischen Ansatzes der „Jungen Wilden“ – das Unmittelbare, das Gestische, das Lebendige. In seiner Darstellung des männlichen Aktes vor der Mauer verweist Fetting aber auch symbolisch auf die Verbindung von Kunst, Körperlichkeit und Zeitgeschichte, auf das West-Berlin der 1980er Jahre als einen Freiraum für künstlerischen Ausdruck und sexuelle Selbstbestimmung im Schatten mentaler und realer Mauern.
Neben Fetting zeigen Elvira Bach, Luciano Castelli und Salomé jeweils eigenständige, doch verwandte Perspektiven auf das Thema des Aktes. Elvira Bach, die mit ihren charakteristischen Frauenfiguren seit den frühen 1980er-Jahren für Furore sorgte, stellt in ihren Bildern weibliche Selbstbestimmung, weibliches Begehren und Lust und ihre Selbstinszenierung ins Zentrum. Ihre Frauen sind nackt, weil sie es wollen – stark, autonom, sinnlich. Luciano Castelli wiederum untersucht in seinen oft androgynen Selbstakten das Spiel der Geschlechter, die Auflösung von Rollenbildern und die Körperlichkeit des Selbst. Seine Figuren bewegen sich zwischen Verführung und Distanz, zwischen Pose und Bekenntnis. Salomé schließlich bringt die theatralische Geste und die Energie seiner Performances in seine Malerei ein. Seine Akte sind ekstatisch, vibrierend, ein Rausch aus Farbe und Licht. Gemeinsam entfalten diese Positionen ein Bild des Körpers, das ebenso individuell wie universell ist – ein Körper, der spricht, begehrt, sich zeigt und verwandelt.
Parallel zur Hauptausstellung präsentiert die Galerie im Basement eine besondere Hommage an den 2024 verstorbenen Künstler Gerhard Kehl, dessen Werk und tatkräftige Mitwirkung die Anfänge der Galerie entscheidend mitprägte. Seine „Blaue Serie“, gezeigt unter seinem Künstlernamen -KEHL-,war bereits Gegenstand der allerersten Ausstellung im Jahr 1995. 30 ereignisreiche Jahre später kehrt sie nun zurück und bildet ein stilles Gegenüber zur expressiven Hauptschau. Kehls Arbeiten, geprägt von Reduktion und kontemplativer Tiefe, von einem Spiel zwischen lackierten Oberflächen und hintergründigem Humor, erinnern an die experimentelle Offenheit, mit der Marcus Deschler seine Galerie vor drei Jahrzehnten gründete. Der Blick zurück ist hier kein nostalgischer, sondern ein lebendiger Dialog zwischen Ursprung und Gegenwart, zwischen den Anfängen einer mutigen Galeriearbeit und der Beständigkeit ihrer Haltung.
„NACKT“ ist in diesem Sinn mehr als eine Jubiläumsausstellung. Sie ist ein Bekenntnis zu (künstlerischer) Freiheit und Selbstbestimmung, zu Offenheit und Sinnlichkeit. Die Werke zeigen, wie eng Malerei und Leben, Körper und Ausdruck, Sexualität und Selbstverständnis miteinander verwoben sind. Dreißig Jahre nach der Gründung der Galerie Deschler steht „NACKT“ für das, was diese Galerie immer ausgezeichnet hat: den Mut zur Intensität, zur Unangepasstheit, zur radikalen Gegenwärtigkeit. Der nackte Körper wird hier zum Symbol des unverstellten Menschlichen selbst – ungeschützt und ungeschminkt, nicht ideal, verletzlich, lebendig, und gerade deswegen sexy.
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On the occasion of its 30th anniversary, Galerie Deschler Berlin presents the exhibition “NACKT (NAKED)”, featuring works by Rainer Fetting, Elvira Bach, Luciano Castelli, and Salomé. The show brings together paintings from the late 1970s and 1980s—the era in which the so-called “Junge Wilde” (the “Young Wild Ones”) emerged in Berlin. These artists rebelled against the intellectual rigor of Minimalism and Conceptual Art with gestural, expressive painting. They championed color, emotion, and immediacy—an art that breathes life and embraces the body.
At the heart of the exhibition lies the nude—not as a classical motif, but as an expression of existential freedom, a symbol of desire, identity, and vulnerability. The works on view depict the human body as a site of longing and self-discovery—often erotic or explicit, always direct and unidealized. Particularly the male nudes, predominant in the works of Fetting, Castelli, and Salomé, articulate a new emancipatory self-image. They stand for an artistic and social movement that, in the 1980s, fought for sexual self-determination and viewed the body as a space of liberation. Fetting and Salomé, both closely connected to the gay movement of the time, turned their art into a statement against shame, repression, and invisibility. In NACKT, being naked becomes a symbol of attitude—of authenticity, pride, and the joy of life.
A special highlight of the exhibition is Rainer Fetting’s sculpture “Die Drehung” (1987), shown alongside his painting “The Wall” from the same year and a red chalk drawing that served as a preliminary study for both. The expressionistically exaggerated, elongated torso of the life-size bronze, its body twisted in a spiral with bent arms and hands resting on the head, reappears in the painting rendered in blue tones before a yellow depiction of the Berlin Wall. This constellation illustrates the close connection between painting, drawing, and sculpture in Fetting’s work. Together, the three pieces allow the body to be experienced across different dimensions—as color field, as line, as movement in space. They embody the essence of the “Junge Wilde” approach: immediacy, gesture, vitality. In portraying the male nude before the Wall, Fetting also symbolically evokes the link between art, corporeality, and history—West Berlin of the 1980s as a space of artistic expression and sexual self-determination in the shadow of both mental and physical walls.
Alongside Fetting, Elvira Bach, Luciano Castelli, and Salomé each offer distinctive yet related perspectives on the nude. Since the early 1980s, Elvira Bach has made a name for herself with her striking depictions of women that place female autonomy, desire, and self-presentation at the center. Her women are naked because they choose to be—strong, self-assured, sensual. Luciano Castelli, in turn, explores the play of genders, the dissolution of roles, and the corporeality of the self in his often androgynous nude self-portraits. His figures oscillate between seduction and distance, between pose and confession. Salomé brings the theatrical gesture and performative energy of his stage appearances into his painting. His nudes are ecstatic, vibrating—an intoxication of color and light. Together, these positions unfold a vision of the body that is as individual as it is universal: a body that speaks, desires, reveals, and transforms itself.
Parallel to the main exhibition, the gallery’s basement presents a special homage to artist Gerhard Kehl, who passed away in 2024 and whose work and active involvement shaped the early years of the gallery. His Blue Series, shown under his artist name -KEHL-, was the subject of Galerie Deschler’s very first exhibition in 1995. Now, 30 eventful years later, it returns as a quiet counterpart to the expressive main show. Kehl’s works, characterized by reduction and contemplative depth, by the interplay of lacquered surfaces and subtle humor, recall the spirit of experimentation with which Marcus Deschler founded his gallery three decades ago. This look back is not nostalgic but a living dialogue between origin and present—a conversation between the bold beginnings of the gallery and the enduring consistency of its vision.
In this sense, “NACKT” is more than a jubilee exhibition. It is a declaration of (artistic) freedom and self-determination, of openness and sensuality. The works on view reveal how closely painting and life, body and expression, sexuality and identity are intertwined. Thirty years after the founding of Galerie Deschler, “NACKT” stands for what has always defined it: the courage to embrace intensity, nonconformity, and radical presence. The naked body here becomes a symbol of the bared human itself—unprotected and unmasked, imperfect, vulnerable, alive, and all the more seductive for it.
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