GLÜCK

Holger Bär – GLÜCK

Holger Bärs neue Gemäldeserie trägt den Titel „Glück“. Der Begriff „Glück“ ist im Deutschen vielschichtig und hat wenigstens drei sehr verschiedene Bedeu­tungsfelder. Die ursprüngliche Bedeutung vom guten Ausgang eines Ereig­nis­ses bezieht sich auf einen glücklichen Zu­fall, ein singuläres äußeres Ereignis, das der Kontrolle des Einzelnen ent­zogen ist, wie etwa ein „Sechser im Lotto“ (Englisch: luck, good fortune). Im philosophischen Sinne bezeichnet das Wort einen zeitlich andauernden Zustand von subjektivem Wohlbefinden und Zufrie­denheit, der auf der inneren Lebenseinstellung des Einzelnen basiert (happi-ness). In einem dritten Sinne kann Glück sich auf kurzzeitige Lust­gefühle be-ziehen, chemische Prozesse im Körper, die durch die Ein­nahme von Mitteln – Drogen – auch künstlich erzeugt werden können (pleasure, ecstasy, euphoria).

Holger Bär arbeitet seit vielen Jahren mit selbst entwickelten, computer­gesteu­er­ten Malmaschinen, die entsprechend aufbereitete, meist foto­grafische Vor­lagen Pixel für Pinselstrich auf die Leinwand übertragen. Da­zu benutzt Bär seit jeher Zahlen zur Codierung seiner Bilder, die nach bestimmten Algorithmen in Farben umgesetzt werden. So kam Bär da­rauf, abstrakte Bilder auf der Grund­lage der Zahlen des Zahlenlottos zu generieren. Er ergänzte die „Glücksserie“ mit Bildern von Lottogewin­nern und –gewinnen und fügte als weitere abstrakte Kategorie bildliche Darstellungen chemischer Glückprozesse mit Dopamin, Se­rotonin und Ecstasy hinzu. Damit erweiterte er das Spiel mit zufallsgenerie­rten Zah­len zu einer inhaltlich tiefer gehenden Auseinandersetzung mit dem ge­gen­wärtigen Verständnis von Glück.

Die Suche nach Glück – im Sinne von happiness – begleitet die verschiedenen menschlichen Zivilisationen seit den frühesten Anfängen. Antike chinesische, indische, nahöstliche und griechische Philosophen und Religionsgründer haben sich bereits damit beschäftigt, und seitdem unzählige Denker in den Bereichen Religion, Philosophie, Soziologie, Ökonomie, Politik, Psychologie und anderen, bis hin zu den zeitgenössischen Glücksforschern, die den Weltglücksbericht der UNO von 2012 verfasst haben. Stark geprägt vom Gedankengut der Aufklärung verankerten die USA in ihrer Unabhängigkeitserklärung von 1776, Grundlage der ersten demokratischen Verfassung der Welt, das Streben nach Glück („the pursuit of happiness“), der König von Bhutan ersetzte das Bruttosozialprodukt als Ziel der Wirtschaftspolitik seines Landes mit dem „Bruttosozialglück“ und schuf dafür sogar eine eigene Staatskommission. Die unüberschaubare Flut von Selbsthilfebüchern, die jedes Jahr veröffentlicht wird, und der exponential anwachsende Sektor für „Wellness“ bezeugen, dass das Streben nach Glück nichts an Aktualität verloren hat. Im Gegenteil, es stellt sich die Frage, ob die Menschheit in diesem Punkt seit der Antike überhaupt Fortschritte gemacht hat oder ob die menschliche Geschichte hier nicht vielmehr von gelegentlichen Fort­schritten und immer wiederkehrenden schweren Rückschritten geprägt ist. Holger Bärs Bilder, vor allem die der Lottoge­win­ner und –gewinne, können als beißende Kritik daran gelesen werden, dass in unserer konsumorientierten Kul­tur äußere Faktoren wie mate­riel­ler Wohlstand – v.a. solcher, der ohne Zutun des Einzelnen erfolgt – und drogeninitiierte Glückmomente gerne mit einem glücklichen Leben ver­wechselt werden, das auf der geistigen Haltung und so­zialen Einge­bun­denheit des Einzelnen beruht.



Holger Bär – GLÜCK

Holger Bär’s new series of paintings runs under the title “Glück.” The Ger­man term “Glück” has at least three quite distinct meanings. Its ori­ginal meaning, the positive outcome of an event, refers to a lucky co­in­ci­dence, a singular external event not controlled by the individual, such as winning the jackpot, and could be translated as luck, good fortune. In the philosophical sense “Glück” designates a temporally extended state of subjective well-being and contentment based on the individual’s inter­nal attitude to life, i.e. happiness. A third meaning can refer to short-termed feelings of intense pleasure due to chemical processes in the body that can also be artificially induced by drugs: pleasure, ecstasy, euphoria.

Holger Bär has spent many years developing and working with compu­ter-controlled painting machines capable of transposing images—usually photo­graphs prepared in a certain way—onto canvas, pixel by pixel, brush­stroke by brushstroke. For this purpose Bär has always used num­bers to encode his images, using certain algorithms to transform num­bers into colors. This led him to the idea to base a series of abstract paintings on the numbers of the lottery. He supplemented this “lucky series” with images of lottery win­ners and prizes, and added renderings of chemical processes caused by dopamine, serotonin and Ecstasy. Bär thus extended the play with randomly generated numbers to effect a more penetrating analysis of our contempo­rary understanding of happi­ness.

The search for happiness has, of course, accompanied the various hu­man civilizations since the very beginnings. Chinese, Indian, Middle-Eastern and Greek philosophers and founders of religions of antiquity have already pon­der­ed the question, as well as numerous thinkers in the areas of religion, philosophy, sociology, economy, politics, psychology and others ever since, all the way to the contemporary researchers of happiness who drafted the UN’s 2012 World Happiness Report. Strongly influenced by the philosophy of the Age of Enlightenment, the United States incorporated the “pursuit of happiness” in their declaration of in­de­pendence, basis of the world’s first democratic constitution, while the king of Bhutan replaced the Gross Natio­nal Product with the “Gross Na­tio­nal Happiness” as guiding principle of its economic policies and creat­ed a national commission to oversee it. The enor­mous flood of self-help books published every year, as well as the ex­panding sector devoted to Wellness, are strong indicators of the fact that the pursuit of happiness has lost nothing of its urgency. On the contrary, it might be questioned whether humanity has made any progress in this re­spect since antiquity, or whether human history has not rather consisted of oc­casio­nal advan­ces and recurrent bad setbacks. Holger Bär’s images for once, particularly the images of lottery winners and prizes, can be read as a scathing indictment of the fact that our consumption-oriented culture has a tendency to substitute external factors such as material affluence—especial­ly that which does not require a contribution from the one enjoying it—as well as drug-induced states of ecstasy for a truly happy life based on the mental attitude and social integration of the individual.    

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